1
Felowa
Wächterin des Friedens
Den Zeigefinger seiner rechten Hand an sein Kinn legend, steht Falk mit seinen Leuten in einer riesigen Halle, vor einer nahtlos in den Felsen eingelassenen großen Scheibe. Ratlos blicken sie auf die trostlose Mondoberfläche.
Noch einmal fragt sich Falk, ob er mit seinen Entscheidungen richtig liegt. Für sich allein zu entscheiden ist einfach, sagt er sich. Aber die Gesundheit und das Leben der ihm vertrauenden Mitstreiter zu riskieren ist schon sehr schwer, findet er. Jedoch weiß er auch, dass er als Anführer der kleinen Gruppe, absolut in der Pflicht steht, auch Entscheidungen zu treffen, die nicht hundertprozentig sicher sind.
Ihm gehen seine letzten Worte durch den Kopf, als er seine Mitstreiter darüber informiert hatte, dass er auf jeden Fall die Mondoberfläche betreten und dazu die Tür öffnen wird. Sein Blick wandert hinüber zu dem großen Tor. Er stellte jedem frei, sich in die hinteren Räume zurückzuziehen und dort abzuwarten, was passieren wird. Sie haben sich alle entschieden, bei ihm zu bleiben und ihm zu folgen.
Er weiß, dass er eine risikoreiche Entscheidung trifft. Denn wenn sich tatsächlich hinter der Tür, die durch die Scheibe erkenntliche und jedem Menschen auf der Erde bekannte lebensfeindliche Mondoberfläche befindet, dann werden sie in Sekunden sterben, sobald sie geöffnet ist.
Seine Gedanken werden durch ein donnerndes Rumpeln unterbrochen. Er blickt zur Tür, die zwischen ihnen und der Mondoberfläche steht. Er sieht, wie der Körper von Petile vom Tor zurückgeworfen wird. Auch Aballa hat sich von der großen Scheibe abgewendet, die neben dem Blick auf die Mondoberfläche, eine wunderschöne Sicht auf die im schwarzen Weltraum schwebende Erdkugel, von der sie alle gekommen sind, gewährt.
Ein breites Grinsen zieht über sein Gesicht, als er seinem Lehrling zuruft: „Na, mein Neffe, hast du wieder mal keine Zeit abzuwarten. Deine Bemühungen werden nicht von Erfolg begleitet werden. Hier kann uns nur der Bestimmte herausführen.“
Petile atmet tief durch und ruft zurück: „Ich wollte nur die Diskussion abkürzen. Wir wollen und müssen doch sowieso alle hier heraus. Da habe ich mir gedacht, vielleicht hilft es einmal, wenn ich mich dagegen werfe.“ Er fasst mit seiner linken Hand an seine rechte Schulter, verzieht ein wenig das Gesicht und meint: „War zwar nutzlos, dafür tut mir jetzt aber meine Schulter weh.“
Alle lachen.
Gisella geht zu ihm und tätschelt ihm mitleidvoll die Schulter.
Auch Falk tritt näher an die große Tür, eher ein Tor und nimmt seinen Stein aus der Tasche. „Petile, streng dich nicht so an, wir benutzen den Stein. Mal sehen, ob es klappt. Siehst du die feine Linie dort?“ Falk zeigt auf einen feinen Strich, der quer über die Tür läuft. „Das ist ähnlich wie am „Atmenden Berg“ und hier kannst du sehen“, Falk zeigt auf die Stelle, „endet er in der Nähe des Türöffners. Ich denke“, murmelt er, „dass ich mit meinem Stein die Tür öffnen kann.“
Petile versucht die Linie zu erkennen, es gelingt ihm jedoch nicht. „Habe diese Linie auch schon am Berg nicht erkennen können“, meint er mit trauriger Stimme und tritt zurück.
Falk blickt sich um, blickt jedem seiner Leute in die Augen und fragt: „Soll ich?“
„Wer viel fragt, bekommt viel Antwort“, meint Sabiha lächelnd. „Wir alle wollen und sind schon sehr gespannt. Also, auf was wartest du Bestimmter?“
„Okay, es sieht hier allerdings ein wenig anders aus, als am „Atmenden Berg“, dort führte die Linie erst zu einem handtellergroßen roten Punkt, der durch meine Hand den Weg zu einem kleineren Raum freimachte, wenn ihr euch erinnert, dort musste ich dann den Stein einsetzen. Jetzt ist wohl gleich der Stein gefordert, wenn ich es richtig sehe.“ Falk streckt die Hand aus und wischt leicht über die Mulde am Ende des roten Strichs und in der Tat, es erscheint das Spiegelbild seines Steins in der Mulde. Ein kaum wahrnehmbares „oh“ klingt durch den Raum. Falk nimmt den Stein und führt ihn langsam und vorsichtig an die Mulde heran. Wie erwartet springt er aus seiner Hand und verbindet sich mit seinem Gegenstück. Es läuft das gleiche Schauspiel ab, das sie alles schon erlebt hatten.
Wieder ist ein kaum wahrnehmbares Knistern zu vernehmen. Die rote Linie, die über den Rand des oben liegenden Steines läuft und auf der Rückseite in der Mulde mündet, leuchtet grellrot. Auf dieser Linie laufen weiße Punkte entlang, die zu dem Kreis auf der Vorderseite gelangen. Die Kraft, die das bewirkt, gelangt somit von der nicht einsehbaren rückseitigen Vertiefung über diese Linie nach vorne. Der rote Mittelpunkt beginnt mit enormer Helligkeit zu leuchten. Da sie das alles schon gesehen hatten, schützen sie diesmal ihre Augen, damit sie nicht von dem hellen Licht geblendet werden. Von dem Mittelpunkt auf der Vorderseite werden nun die restlichen fünf roten Wellenlinien bedient. Diese beginnen ebenfalls hell zu strahlen. Auch auf ihnen laufen weiße Punkte zu den Enden der fünf Wellenlinien. Nachdem sie die jeweiligen Endpunkte erreicht haben, legen sich aus der Tür kommend fünf winzige Scheiben auf diese Endpunkte. Die Scheiben befinden sich am Ende von feinen Metallarmen. Diese Spinnenbeine fixieren sie auf dem Stein. Das Knistern wird lauter. Danach ist es wieder still.
„Genau der gleiche Ablauf, wie am Berg“, murmelt Falk.
Kenan, der neben Falk getreten ist, meint lakonisch: „Ja, könnte man sich dran gewöhnen.“
Beide sehen sich an und grinsen.
„Mal sehen, was jetzt pass…“ Weiter kommt Falk nicht.
Plötzlich, wie von Zauberhand weicht die Tür zurück. Die eine Hälfte verschwindet in der linken, die andere in der rechten Wand. Sie halten die Luft an und warten auf das, was jetzt kommt. Petile, der nicht mehr zu halten ist, steht schon in der Tür und wirft sich blitzschnell zur Seite. Über seinen Kopf rast ein in sich bewegender Vogelschwarm hinweg, der sich laut zwitschernd in die Halle ergießt. Auch die anderen gehen reflexartig in die Knie. Der ganze Spuk dauert nur Sekunden. Nach einer Ehrenrunde im großen Raum, man könnte auch meinen, dass die Vögel zur Begrüßung erschienen sind, verschwindet der zwitschernde Haufen wieder durch das große Hallentor. Draußen ist es hell, warm und grün. Direkt an der Tür beginnt ein mit schwarzen Kieseln belegter Weg. Eingefasst ist dieser Weg mit Büschen und Bäumen, nach einigen Biegungen verliert er sich im Gehölz.
Dieser Bewuchs ist nichts Neues für sie. Solche Pflanzen finden sie überall auf der Erde. Petile hält seine Nase aus der Tür heraus und atmet tief ein. Er will gerade sagen, dass keine Gefahr besteht, da erhält er einen zärtlichen Schlag in den Rücken von seinem Onkel. „Steh uns nicht im Wege herum, die anderen wollen auch hinaus.“
Petile hüpft an die Seite. Alle sind mehr oder minder sprachlos. Staunende Augen versuchen, das Bild dieser Welt zu erfassen. Sabiha blickt mit offenen Augen in die wunderschöne grüne Landschaft. Sie dreht sich um, läuft schnell wieder zur großen Glasscheibe und blickt hinaus. Nichts hat sich an dem Blick auf die zerklüftete Mondlandschaft verändert. Die Mondoberfläche liegt in ihrer wundervollen graubraunen Trostlosigkeit vor ihren Augen. Sie wendet leicht den Kopf und lugt durch das offene Tor nach draußen und sieht die grüne Vegetation. Sie schüttelt den Kopf und rennt wieder zur Tür.
Dort wird sie von Falk empfangen, der sie lächelnd ansieht. „Ist nicht zu glauben, oder?“
„Nein ist es nicht, Falk.“ Sie nickt und bekräftig: „Ist es wirklich nicht. Aber wir wissen, dass alles, was wir bisher erlebt haben und wohl auch noch erleben werden, nicht unbedingt erklärbar sein wird. Ich bin nur dankbar, dass ich dabei sein darf.“
„Ich auch“, ruft Cindy, die fest die linke Hand ihres großen Bruders umschlossen hält.
Falk, legt leicht den rechten Arm über Sabihas Schulter, ihr scheint das nicht unangenehm zu sein, sie lehnt leicht den Kopf an seinen Arm und blickt ihn mit leuchtenden Augen an. Falk meint: „Auch wenn wir noch viele Aufgaben zu erledigen haben, stimme ich dir gerne zu, dass wir dankbar sein müssen, so etwas wundervolles erleben und sehen zu dürfen.“ Sie betreten gemeinsam den Boden des Erdtrabanten.
Die Erde steht, wie auch von innen durch die Glasscheibe gesehen, dicht über dem Horizont und verbreitet mit ihrer Größe ein nicht zu beschreibendes Gefühl. Sie ist teilweise in Wolken gehüllt, die sich in der Lufthülle des Mondes gebildet haben. Um sie herum zwitschern und trällern Vögel, dass man kaum sein eigenes Wort verstehen kann, außerdem summen und brummen eine Unzahl von Insekten, die den gefiederten kleinen Krawallmachern als Futter dienen.
Falk fühlt, wie ihn sein innerer Wegweiser, in Richtung Weg zieht. Langsam bewegen sie sich durch die üppige Vegetation. Die schwarzen Kieselsteine knirschen unter ihren Füßen.
Barabass hat mit seinen goldenen Reitern ebenfalls das Gebäude verlassen und zügelt sein goldenes Pferd neben Falk und den beiden Damen. Sein breites Lächeln kann man deutlich unter dem Bart erkennen, der so unnachahmlich sein Gesicht umrahmt. „Wie ich es gesagt habe, Bestimmter; auf dem Mond lässt es sich leben. Jetzt müssen wir Felowa befreien. Wir stehen euch mit all unseren Mitteln zur Verfügung.“
Falk nickt ihm dankbar zu. „Das weiß ich General. Vielen Dank. Ich denke, dass es notwendig ist, Felowa eine Nachricht zu übermitteln, damit sie weiß, dass wir angekommen und auf dem Weg zu ihr sind.“ Dann klopft er vorsichtig auf seine linke Schulter und ruft: „Hannibal?“
Eine Sekunde später steht der kleine Bote wie immer, zackig seine Beinchen zusammenschlagend und die Pfote zum Gruß an der Mütze gelegt, aufrecht auf seiner Schulter und meldet sich: „Bestimmter stehe zu Diensten.“
„Du hast mitgehört, als Felowa sagte, wo sie sich befindet?“
„Natürlich, Bestimmter, das habe ich“, salutiert Hannibal. „Bestimmter, du brauchst mich nicht zu fragen, ob ich ihr eine Nachricht überbringen kann. Ich habe nur darauf gewartet. Es ist mir eine Freude, einen solchen Auftrag ausführen zu dürfen.“
Aus den Augenwinkeln kann Falk den grinsenden Hamster auf seiner Schulter stehen sehen. Schlaues Kerlchen denkt er sich. Es ist wirklich gut, dass er bei uns ist.
„Also, mein lieber Hannibal, bitte überbringe Felowa folgende Meldung: Wir sind auf dem Wege zu dir. Kläre bitte meinen persönlichen Boten auf, was es mit dem goldenen Blatt für eine Bewandtnis hat. Es ist wichtig, um planen zu können. Außerdem wäre es gut, wenn du ihm sagen könntest, welche Zeit günstig ist, um dich aus deiner Lage befreien zu können. Ich denke zum Beispiel an einen Wachwechsel. Das Wichtigste jedoch ist, dass du ihm sagst, wo wir nach deiner Befreiung untertauchen können. Los mein Freund, auf gehts; komm gesund zu mir zurück.“
Falk grault Hannibal noch einmal kurz am Kinn, was dem unglaublich gut gefällt. Das zeigt er durch sein breites Hamstergrinsen und indem er mit seinem Kopf sich richtig fest an den Finger von Falk drückt. Dann salutiert er wieder, geht in die Knie, federt aus und mit einem Jodler, der einem Bayern Konkurrenz gemacht hätte, saust er davon. Er ist sichtlich froh, einen wichtigen Auftrag erhalten zu haben.
Vor ihnen macht der Weg einen scharfen Knick. Barabass ist mit seinen goldenen Reitern wieder als Vorhut unterwegs. Sie können sehen, wie sie vorsichtig und langsam an die unübersichtliche Stelle heranreiten. Sie verschwinden aus den Augen. Es dauert jedoch nur einen Augenblick und sie kommen mit großer Geschwindigkeit wieder zurück. Barabass macht Zeichen, sie sollen sich schnell rechts und links in den Büschen am Rande des Weges verstecken. Eine Sekunde später liegt der Weg ruhig in der Sonne, die genau so warm und schön scheint wie auf der Erde.
Der Kies knirscht fürchterlich. Zwei große Reptilien kommen den Weg entlang. Sie unterhalten sich so laut, dass sie jedes Wort verstehen können.
„Höre, du Möchtegern - General, ich sage dir, dass diese Geschwister im Licht oder wie sie sich nennen, nicht ungefährlich sind. Ich glaube, du nimmst das alles ein wenig zu leicht. Harbert hat uns gewarnt. Er hat erfahren, dass sie doch das Mondland aufsuchen wollen, obwohl er alles getan hat dies zu verhindern. Sie dürfen auf keinen Fall Felowa treffen. Wenn ich sie doch nur töten lassen könnte.“ Er schüttelt wütend seinen grasgrünen Kopf. Beide Mondländer haben Keulen und Äxte hinter einem, mit einer prächtigen Schnalle versehenen Gürtel, gesteckt. Der große grüne Echsenmann antwortet sich selbst: „Leider kann man Felowa nicht töten, da sie unsterblich ist. Ich kann sie lediglich unter Verschluss halten. Das werde ich tun und wenn ich sie 1.000 Jahre bewachen lassen muss. Sie ist selbst schuld. Sie hätten ja mit uns kooperieren können.“ Er sieht seinen etwas kleineren General an, der eine dunklere Farbe aufweist. „Warum hast du keine Wachen hier im Ankunftsbereich aufstellen lassen? Wenn wir nun schon durch die Medizin, die uns von Harbert gegeben wurde, das auferlegte Vergessen haben rückgängig machen können, dann müssen wir auch danach handeln. Kannst du mir folgen, du dummes Krokodil?“ Mit grollenden Geräuschen, die aus seinem riesigen Rachen kommen, schaut die größere Echse ihren Begleiter an.
Die mit General titulierte Echse, scheint sich in ihrer Haut nicht sehr wohl zu fühlen. Sichtlich nervös stammelt sie: „Ja euere Huldigung, es kann ja noch nichts passiert sein.“ Dann ein wenig aufmüpfig: „Ein Krokodil bin ich aber nicht.“
Aus dem Rachen der Huldigung grollt es dröhnend: „Wenn ich sage, dass du ein Krokodil bist, dann bist du eins, du grüner Frosch.“
Der General senkt demütig seinen riesigen Schädel. Die beiden Reptilien sind vor der Ankunftshalle angekommen.
Falk geht es siedend heiß durch den Kopf, dass sie vergessen haben, die Tür wieder zu schließen. Jetzt wissen sie gleich, dass wir da sind. „Schade“, seufzt er leise, „hätte ruhig noch eine Weile dauern können, bis sie wissen, dass wir hier sind. Das wäre für uns sicher besser gewesen.“
Petile, der neben Falk auf dem Boden, unter einem Busch liegt, klopft ihm auf die Schulter. Falk dreht sich zu ihm herum.
Petile flüstert leise: „Keine Sorge Bestimmter, ich habe die Tür fest hinter uns verschlossen.“ Seine Augen sprühen ein verhaltenes Feuer.
Falk atmet tief durch: „Gut gemacht Petile, danke.“ Falks Blick richtet sich wieder auf die Echsen, die nun an der Tür zur Halle stehen und sie betrachten.
Die Echse, die der General schmeichelnd mit „Euere Huldigung“ angesprochen hatte, schaut nachdenklich auf den Kiesweg. „Da sind doch Spuren, oder täusche ich mich etwa?“ Langsam gehen die beiden Echsen wieder ein Stück des Weges zurück. Sie haben die Stelle erreicht, wo Falk mit seinen Leuten in den Büschen liegt.
„Wer weiß, wo diese Spuren herkommen?“, meint der General. „Vielleicht Hasen?“
„Nein von Elefanten und Walfischen“, sagt ihm der König.
„Meint „Eure Huldigung“ das tatsächlich?“ Ein wenig ratlos schaut der General seinen König an. „Wo kommen die denn so plötzlich her? Gibt es die wirklich bei uns?“
„Ach, was bist du doch so blöd“, zischt der König durch sein großes Maul, dass seine gespaltene Zunge nur so im Luftstrom flattert, „warum habe ich dir nur die Befehlsgewalt über meine Truppen gegeben?“ Frustriert winkt er mit der Hand ab und sagt laut grollend, seine Frage selbst beantwortend: „Weil die anderen glorreichen Krieger noch blöder sind.“ Er nimmt eine mit spitzen Stacheln bespickte Keule aus seinem Gürtel und schlägt damit vor Wut auf den Boden, sodass der Kies aufstiebt. Dann holt er noch einmal ordentlich aus und schlägt in die Büsche, dass abgeschlagene Äste und viele Blätter in der Luft herumwirbeln. Bei dieser heftigen Bewegung rutscht ihm die Krone, die auf seinem eckigen Kopf ein wenig deplatziert aussieht, fast herunter. Mit dem Griff seiner Keule schiebt er sie zurück an ihren Platz.
Gisella sieht diese riesige Keule auf sich zukommen und presst ihr Gesicht und ihren Körper fest an den warmen Grasboden. Sie spürt förmlich, wie die Keule mit den spitzen Nägeln über ihren Rücken zischt. Sie bekommt eine Gänsehaut. Gerade noch einmal gut gegangen denkt sie sich und wischt sich den auf die Stirn getretenen Angstschweiß mit dem Unterarm ab. Vorsichtig hebt sie den Kopf und sieht die Echse weit ausholen, um wieder in die Büsche zu schlagen. Falk hat seine Beine an den Unterkörper herangezogen und will aufspringen, da das unbeherrschte Umherschlagen der Echse sie alle aufs Höchste gefährdet. Obwohl er weiß, dass der Kampf alles andere als leicht für ihn sein wird. Er kann jedoch das Risiko, dass einer von ihnen mit dieser Waffe getroffen und getötet wird, nicht verantworten. Da raschelt es laut und vernehmlich. Ein paar Meter neben sich bemerkt er, wie zwei Schatten durch das Unterholz toben.
Zwei riesengroße graue Hasen brechen aus dem Buschwerk und hoppeln den Kiesweg hinauf, dass die Kieselsteine nur so herumfliegen. Nach ein paar Metern, kurz vor der Biegung verschwinden sie auf der anderen Seite des Weges im Gebüsch. Das Echsengesicht des Generals verzieht sich zu einem fürchterlichen Grinsen. „Habe ich es gesagt, Euere Huldigung? Hasen!“
Der Echsenkönig haut seinem General so hart in den Rücken, dass der den Kiesweg entlang taumelt. Er ruft ihm hinterher: „Lasse sofort einen Trupp deiner besten Leute hierherkommen und den Ankunftsbereich bewachen.“ Dabei lacht er laut und hässlich.
Der General wäre fast in die Büsche und wahrscheinlich auf Falk gefallen. Er kann sich aber gerade noch halten und bleibt stehen. Verzieht sein Echsengesicht zu einer höllischen Fratze und blickt seinen König an.
Das nennt man wohl in Echsenkreisen lächeln, sagt sich Falk erschüttert.
Der General sagt mit ergebener Stimme: „Wundervoll euere Berührung, meine Huldigung. So einen harmonischen gut gesetzten Schlag habe ich überhaupt noch nicht von euch erhalten. Ich bin begeistert.“
Falk tippt sich nachdrücklich an den Kopf. Neben ihm hält Cindy mit beiden Händen krampfhaft ihren Mund zu.
Einen kurzen Augenblick später sind die beiden Echsen verschwunden. Sie atmen auf und versammeln sich wieder auf dem Kiesweg.
Kenan meint: „Ich denke, wir sollten sofort von hier verschwinden, ehe hier eine noch größere Truppe von Echsendeppen die Gegend unsicher macht.“
„Das ist doch wohl nicht zu glauben, was wir eben hier erleben durften“, meint Gisella und grinst in die Runde.
„Das stimmt“, sagt Aballa. „Los hauen wir ab, mit solchen Wesen ist nur sehr schwer zu verhandeln. Wenn überhaupt.“
Sie folgen, so schnell sie können, dem Kiesweg. Vor ihnen wird die Vegetation dünner. Vorsichtig nähern sie sich dem Rand des grünen niedrigen Buschbewuchses. Vor ihnen liegt eine mittelgroße Stadt, deren Geräusche bis zu ihnen herüberdringen.
Gisella legt beide Hände als Blendschutz, vor der hoch am Himmel stehenden Sonne, an die Stirn und meint nach einem kurzen Moment: „Da findet zweifelsohne im Augenblick ein Markt statt.“
Falk nickt zustimmend: „Seht ihr die Ansammlung merkwürdiger Fahrzeuge? Sogar Lufträder, mit Echsen bemannt, befinden sich in der Luft. Ich denke, dass sie den Luftraum über der Stadt sichern und die Marktbesucher überwachen. Da müssen wir wohl mehr als vorsichtig sein. Auch Pferdefuhrwerke und Transis sind unterwegs. Sogar kleinere schnittige Autos rasen durch die Gegend.“ Er schüttelt den Kopf: „Merkwürdiges Gemisch von Fahrzeugen. Wo die nur alle herkommen? Irgendwie habe ich ja mit den unterschiedlichsten Dingen gerechnet, dass aber überall Autos auftauchen? Zuerst bei den Wettermachern, dann hier in der Stadt auf dem Mond? Wirklich merkwürdig.“ Falk sieht seine Leute an. Sie stimmen ihm zu. Auch Aballa, seine Nichte und sein Neffe sind ratlos. Aber all das wird in den Schatten gestellt, durch das grandiose Bild, das die Stadt dem Betrachter bietet. Der Himmel ist mit Wolken durchsetzt und über der Stadt hängt groß und mächtig die Erdkugel. Die höchstens mehrere hundert Meter hohe Luftschicht geht recht schnell in die Schwärze des Weltalls über. Ein paar Wolken hängen vor der Erdkugel. Die Sterne sind zum Greifen nah. Es ist atemberaubend. Falk geht durch den Kopf, dass sie zuerst bei ihrer Ankunft, den Mond so gesehen haben, wie sie ihn sich aufgrund der Erkenntnisse aus der Sternenforschung und der Landung der Menschheit auf dem Mond vorgestellt hatten. Aber, kaum hatten sie die Empfangshalle verlassen, sahen sie sich in eine andere Welt versetzt. Eine Welt, die man von der Erde aus nicht sehen kann, die man sich auch in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte.
Unwillkürlich muss Falk ein wenig lächeln, als er daran denkt, dass es aus einer Zeit, als es noch nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse und den heutigen technischen Fortschritt gab, der ja auch die Menschheit auf den Mond gebracht hat, es viele fantasievolle Geschichten und Erzählungen gibt, die in etwas das beschreiben, was sie nun mit ihren eigenen Augen sehen dürfen.
Hat vielleicht doch der ein oder andere damals schon etwas gesehen? Sein Lächeln vertieft sich und der Blick wandert zu der hoch auf einem Felsen, mitten in der Stadt, stehenden Burg, wie sie von Felowa beschrieben wurde. Auch die beiden Wachtürme sind auszumachen. Falk sieht plötzlich die Riesengestalt von Felowa über der Stadt schweben. Ihre Hand zeigt auf die Burg. Sie lächelt ihn an, so als wüsste sie, dass er kommt, um sie zu befreien.
„Seht ihr die beiden Türme?“ Falk macht eine kleine Pause, ehe er weiter fortfährt: „Unter diesen Türmen wird Felowa gefangen gehalten. Wenn alles stimmt, was sie sagt und sie uns keine Falle stellt. Wir müssen außerordentlich vorsichtig sein.“
Aballa legt die Hand auf den Unterarm von Falk: „Ich kann mir das nicht vorstellen, nach alledem, was du uns erzählt hast. Vor allen Dingen habe ich immer noch vor Augen, wie du noch in Feuerland gesagt hast, wir gehen zuerst ins Mondland; sogar ich war dagegen. Heute sehe ich das anders. Nun denke ich, dass das jetzige Vorgehen bisher absolut richtig war. Wir müssen nach wie vor misstrauisch sein, sollten uns aber nicht selbst blockieren.“
„Nun gut. Warten wir ab bis Hannibal mich mit seinen speziellen Sensoren entdeckt hat und über den Besuch bei der Riesenfee Felowa berichten wird. Lasst uns einen bequemen Platz suchen, wo wir alles im Blickfeld haben.“
Sie hören die Stimme von Sabiha: „Kommt bitte hierher. Ich habe etwas entdeckt. Vielleicht kann uns das weiterhelfen.“
*
Im spärlichen Licht des blutroten Nachthimmels, umhüllt von gespenstischer Ruhe, liegt das Haus des Wissens im großen dunklen Garten. Durch eines der vergitterten, geöffneten Fenster im 1. Stock dringt plötzlich ein abgehacktes Schnarchen, hin und wieder durch ein Stöhnen unterbrochen.
Der Betrachter der unwirklichen Szenerie murmelt: „Da hat sich wohl jemand sich in einem Albtraum verloren.“
Es öffnet sich die Tür. Ein Kopf zwängt sich durch den Türspalt und blickt vorsichtig nach allen Seiten. Der Beobachter unter dem Baum zieht sich vorsichtig noch ein wenig mehr zurück. Seine Augen sind wachsam. Die Tür öffnet sich weiter. Heraus tritt Harbert. Das hat der Beobachter auch nicht anders erwartet.
„Mal sehen, was jetzt passiert“, murmelt er wieder leise und steigert seine Aufmerksamkeit noch mehr.
Als Harbert die Treppe erreicht hat, kommen weitere Lehrmeister heraus. Sie sammeln sich am Fuße der Treppe und tuscheln miteinander. Der Beobachter kann nichts verstehen, obwohl er sich anstrengt. Mittlerweile sind 7 Lehrmeister und 5 andere Feuerländer zusammengekommen. Harbert macht ein Handzeichen. Er geht voran, die anderen folgen ihm.
Leicht den Kopf schüttelnd fragt sich der Beobachter leise: „Wohin sie wohl gehen werden?“ Vorsichtig löst er sich aus dem Schatten des Baumes, hinter dem er sich versteckt hat. Das rötliche Licht des Nachthimmels legt sich auf sein Gesicht. Es ist Krelakta. Unmittelbar hinter ihm knacken Zweige.
Krelakta dreht sich um und flüstert leise und nervös: „Ah ..., hm ..., bitte nicht wie die Elefanten aus dem Erdland im Porzellanladen. Wir fallen noch auf.“ Ärgerlich dreht sich um und bekommt einen Schrecken: „Aber Majestät ich dachte ...“